Mittwoch, 18. Mai 2016

Meine Lehrmeister, die Pferde – und Reitlehrer



Ich glaube, dass ich ein relativ belesener Mensch bin. Zumindest was die Reitlektüre betrifft. Ich habe ziemlich viele Bücher daheim, die meisten gelesen, andere „nur“ als Nachschlagewerke. Doch hin und wieder frage ich mich, was das ganze Wissen in der Praxis denn tatsächlich bringt. Nämlich immer dann, wenn ich auf dem Pferd sitze, und es mal wieder nicht klappen mag. 

Dann sitze ich da also und rekapituliere mein gespeichertes Wissen, das ich im Lauf der Zeit in meinem Hirn gehortet habe – eine Schublade für fehlende Biegung, eine für faule Pferde, eine für mangelhafte Anlehnung und was es nicht alles gibt. Aber leider kommt es auch immer wieder vor, dass mir in einer ganz entscheidenden Schublade etwas fehlt: Nämlich in der „Angewandtes Wissen in der Praxis“-Schublade. Als gemeiner Freizeitreiter habe ich nur ein Pferd, mal mehr mal weniger habe ich dann noch das Glück, ein weiteres mitreiten zu dürfen. Dennoch ist es äußerst schwierig, mit so begrenzten „Mitteln“ einen vernünftigen Erfahrungsschatz aufzubauen.

Das merkt man vor allem dann, wenn man auf einem Pferd sitzt, dem man grundsätzlich noch etwas beibringen kann. Oder könnte. Aber wo fängt man an? Und wo hört man auf?

Dino kennt ihr ja bereits. Dino hat´s nicht so mit dem Galopp. Jetzt gibt es verschiedene Lösungsansätze für so ein Problem – man kann im Gelände fleißig im leichten Sitz trainieren, man kann in der Bahn viele Übergänge reiten, man kann auch in der Bahn in den leichten Sitz gehen und erstmal vorwärts ganze Bahn reiten… aber was ist nun der beste Weg für dieses Pferd? Und vor allen Dingen: Wie schnell steigert man die Anforderungen? Und wie fördert man im richtigen Maße? 

Gerade die letzten beiden Punkte bergen eine echte Herausforderung an den Reiter. Mein Reitlehrer sagt zu mir immer, ich soll mich nicht mit halben Sachen zufrieden geben. Und in der Reitstunde kenne ich auch genau meinen Punkt, wo ich aufgehört hätte, und ich bin jedes Mal erstaunt darüber, was da noch geht. Trotzdem traue ich mich nicht weiter, wenn ich alleine arbeite – was ist, wenn die Erfolgskurve plötzlich ihren Zenit erreicht hat und es nur noch abwärts geht? Dann gehe weder ich noch mein Pferd mit einem guten Gefühl aus der Bahn. Unschön. 

Doch nicht nur die Dauer der Reiteinheit oder das erreichte Ziel sind schwer einzuschätzen, sondern auch die steigenden Anforderungen. In einer meiner letzten Reitstunden musste ich Dino auf der Geraden im Schritt im Schultervor angaloppieren. SEHR schwer hat er sich damit getan, aber das Ergebnis am Schluss konnte sich wirklich sehen lassen. Allein gearbeitet, hätte ich ihn nur in der Biegung angaloppieren lassen, vielleicht noch auf der Geraden auf einem Hufschlag. Auf gar keinen Fall mehr. Das arme Pferd! Nicht, dass es sich überfordert! Aber hätte ich dann so ein gutes Ergebnis gehabt? Sicher nicht. Und wann wäre ich dahin gekommen? Wochen später wahrscheinlich.

Soll man nun also auf die Theorie pfeifen und nur noch Unterricht nehmen?

Müsste man sich für eins entscheiden, wäre das sicherlich der bessere Weg. Und ich glaube, dass es viel wichtiger ist, ein Grundverständnis zu erlangen, WARUM etwas gemacht wird als WIE etwas gemacht wird – letzteres kann man sicherlich zur Genüge nachlesen. Aber solange man nicht die Hintergründe und Zusammenhänge versteht, kann man zehnmal die Ausbildungsskala zitieren oder die Parade erklären, und ist deshalb noch lange kein besserer Reiter. Hier tut es gut, auch mal andere Bücher als Reitwerke aufzuschlagen, beispielsweise über die Biomechanik oder über das Interieur des Pferdes, wie es lernt, wie es denkt und wie es fühlt. Oder man hat einen versierten Reitlehrer zur Hand, der es versteht, den Reiter über den Tellerrand hinaus blicken zu lassen. Den braucht man nämlich spätestens dann, wenn man mal wieder auf dem Pferd sitzt und nichts klappen mag!