Freitag, 19. Dezember 2014

Das wohlgehütete Geheimnis der diagonalen Hilfen - Teil 2

Nachdem wir nun festgestellt haben, dass man in den Richtlinien eine Menge Interpretationsspielraum hat, wenn es um das Thema diagonale Hilfen geht, und die Antwort - zumindest meine Interpretation davon ;) - nur zwischen den Zeilen findet, wollen wir uns mal das Buch eines Mannes anschauen, der Mitautor der Richtlinien Band 1 und 2 und somit maßgeblich an deren Erstellung beteiligt war.

Es handelt sich um Michael Putz und das Buch "Reiten mit Verstand und Gefühl".

Das gut gegliederte Inhaltsverzeichnis entschädigt für das fehlende Stichwortverzeichnis, und ich gelange durch die klare Aufteilung der einzelnen Hilfenbestandteile inkl. des anschließenden Punktes "Zusammenwirken der Hilfen" sehr schnell an mein Ziel.

Das war es dann aber schon leider mit der Klarheit. Ich weiß leider immer noch nicht genau, was er unter den diagonalen Hilfen versteht, obwohl er eine Definition davon in seinem Buch abdruckt:

"Die diagonale Hilfengebung [...] versteht man, dass mit dem jeweils inneren Schenkel in Richtung des äußeren Zügels getrieben werden soll, besonders wenn das Pferd mit Stellung und/oder Biegung gehen soll [...]".

Michael Putz, Reiten mit Verstand und Gefühl, S. 30

Aber was macht der äußere Zügel währenddessen? Das findet man, wie ich das verstehe, auf der Seite davor:

"Die verwahrende Zügelhilfe ist bei jedem Stellen oder Biegen das Gegenüber zum inneren Schenkel und zum annehmenden oder seitwärtsweisenden (Stellung gebenden) inneren Zügel."

Michael Putz, Reiten mit Verstand und Gefühl, S.29

Was bedeutet das also jetzt genau? Meines Erachtens nach doch wohl, dass anscheinend DOCH am inneren Zügel die annehmende Hilfe gegeben wird - also quasi der "zügelbezogene" Teil der Parade.

Und was ist dann dabei diagonal?

Beziehungsweise - anders gefragt, der Autor würde an dieser Stelle wahrscheinlich sagen "Na, das Herantreiben an den äußeren, verwahrenden Zügel" - was wäre dann die gleichseitige Hilfe nach so einer Definition? Die gibt´s ja auch noch! Hm, diese Frage wird wohl unbeantwortet bleiben...

An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Exkurs machen. Ich habe mir bei meinen Recherchen auch Udo Bürger zur Hand genommen, leider auch hier keine befriedigende Definition gefunden. Allerdings eine sehr, sehr schöne andere Beschreibung, wie mit dem äußeren Zügel umgegangen werden soll:

"[...] geht die linke Hand (Anm.: äußere) etwa zwei Zentimeter vor, die rechte geht aber nicht aktiv zurück, sondern bewahrt unverändert Anlehnung. [...] dehnt sich der Hals in die vorgehende Hand, biegt in der rechten Ganasche ab und das Pferd wendet auf einen rechten Kreisbogen."

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst, S. 187

und dann noch sehr schön ergänzend

"So lernt der Jungreiter mit der nachgebenden Zügelhilfe Wendungen reiten [...]"

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst, S. 187

Toll ausgedrückt! Und außerhalb des Reitunterrichts erstmalig so klar gefunden!

Widmen wir uns als vorletztes (bald ist´s geschafft) dem guten alten Müseler. Da finde ich es verwirrend, dass er von gleichseitigen (mit beiden Zügeln gleichzeitig) und einseitigen Zügeleinwirkungen (ZE) spricht. Die gleichseitigen ZE definiert er mit "Nachgeben, Annehmen oder Aushalten mit beiden Zügeln" - u.a. nutzt er sie bei Paraden. Das werden wir uns gleich noch mal genauer anschauen. An dieser Stelle bin ich nur verdutzt, da es ja gemeinhin heißt, gerade bei einfach gebrochene Gebisse kommt der Nussknackereffekt bei gleichzeitigem ZE zu tragen - wieso nutzt er ihn dann geplant?

Nun denn, der einseitige ZE wird benötigt beim Reiten in Stellung, bei jeder Wendung und beim Galoppieren. Für mich eine seltsame Definition, aber wer bin ich, den Müseler in Frage stellen zu wollen ;)

Schauen wir lieber mal auf die Seite 90, da schreibt er nämlich gezielt über die Paraden:

"Anreiten, Antraben und Parieren sollen genau in der Bewegungsrichtung geradeaus vor sich gehen. Beide Schenkel und beide Zügel wirken dementsprechend gleichmäßig. Wirkt nur ein Schenkel oder ein Zügel anders als der andere, würde eine Schiefe entstehen, ein Abweichen von der Geradeausrichtung die Folge sein."

Wilhelm Müseler, Reitlehre, S. 91

Er relativiert das etwa, indem er noch nachsetzt:

"Umgekehrt kann eventuell ein stärkerer Druck des einen oder anderen Zügels oder Schenkels notwendig sein, wenn bei einer Schiefe des Pferdes ein Abweichen von der Geradeausrichtung verhindert werden muss."

Wilhelm Müseler, Reitlehre, S. 91

Leider gar keine echte Hilfe, wenn sich der geneigte Leser über die Parade bzw. die diagonalen Hilfen informieren möchte. Da war ich doch tatsächlich enttäuscht.

Zu guter Letzt wollen wir noch einen Blick in Horst Sterns "So verdient man sich die Sporen" werfen. In dem sehr humorvollen Buch schreibt er in seinem Vorwort, dass sich das Buch an Menschen richtet, die "Anfänger sind und sich wundern, warum sie es so lange bleiben - ihnen wird gesagt, was sie falsch machen". Das schürt die Erwartungen an klare Worte!

Leider bleibt auch hier eine genaue Definition aus. Aber dafür finde ich etwas anderes Schönes, auf das er großen Wert legt:

"[...] Und immer muss danach folgen: das Nachgeben in den Händen wenn die Parade "durchging". Und auch wenn sie nicht durchging: Dann ganz besonders. Es ist wie beim Bremsen im Auto: Man steigt nicht aufs Pedal [...] bis die Bremse blockiert. Man bremst dosiert: rauf ... runter ... rauf. Man kennt seine Bremsstrecke und richtet sich darauf ein. Beim Pferd ist es genau so: Ich weiß, was es kann. Ist es nicht so gut geritten, dass ich ihm das Halten aus dem Galopp mit einer einzigen Parade abfordern kann, dann pariere ich dosiert: annehmen ... nachgeben ... annehmen."

Horst Stern, So verdient man sich die Sporen, S. 131

So, zu Ende ist die literarische Reise. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie mich zum Ziel geführt hat ;) Allerdings könnte man es auch irgendwie so sehen: Viele Wege führen nach Rom, und, egal welchen man einschlägt, solange man diesen pferdegerecht lebt, wird das Pferd damit glücklich werden. Und das ist ja das, was wir wollen. Und was das Pferd will!

Eure
Alexa

Montag, 15. Dezember 2014

Das wohlgehütete Geheimnis der diagonalen Hilfen - Teil 1

Angefangen haben meine Überlegungen, als meine Freundin beim Trainerschein war und die Frage, ob sie beim Unterrichten dort "außen nachgeben", oder "innen nie nachgeben" etc. sagen darf, mit einem klaren "Nein" beantwortet wurde.

Was aber ist denn ein Halten der inneren Anlehnung und ein Nachgeben des äußeren Zügels, wenn nicht Bestandteil einer Parade und somit ein nicht unwesentlicher Teil der diagonalen Hilfengebung?

Natürlich bin ich gleich in der nächsten Reitstunde noch mal zu meinem Reitlehrer gedackelt und habe ihn dazu befragt. Anschließend ;) habe ich zufälligerweise zwei Interviews zu dem Thema "Parade" und "Diagonale Hilfen" in den Dressur Studien von ihm entdeckt. Diese fielen mir in die Hand, weil ich in einschlägiger Reitliteratur zu dem Thema gestöbert habe. Und mich schwer wunderte! Ich habe doch tatsächlich keine einzige zufriedenstellende Definition oder Anleitung gefunden! Teilweise fiel der Begriff "diagonale Hilfen" nicht einmal.

Natürlich habe ich jetzt nicht sämtliche Bücher daraufhin von vorn bis hinten durchgelesen, aber ich meine doch, ein Reitbuch gilt als Nachschlagewerk und somit sollte gerade so ein zentrales Thema über das Inhaltsverzeichnis oder das Stichwortverzeichnis zu finden sein. Gemein hatten alle die klassischen Aussagen zur halben und ganzen Parade, Kombination von treibenden und verhaltenen Hilfen, dass die Hand niemals rückwärts einwirken darf, welche Einwirkungsweisen der Hand es gibt, etc.

Fangen wir mal mit der Meinung meines Reitlehrers, und somit der mir gelehrten, an, um uns dann die Aussagen anderer genauer anzusehen:

"[...]  Es beginnt mit dem treibenden Schenkel und Kreuz, zeitgleich ein leichtes Nachgeben der äußeren Hand, dann das Schließen der Hand, sofort gefolgt von einem erneuten Nachgeben der Hand, einem lockern des Zügelgriffes. [...]"

"[...] Der gleichseitige Zügel wirkt auf den gleichseitign Hinterfuß. Da der Hinterfuß den kürzeren, höheren Bogen beschreiben muss, also vermehrt versammelt wird, würde ich bei einer Parade am inneren Zügel die Aktion dieses inneren Hinterfußes erschweren und gegen ihn arbeiten. [...]"

Eberhard Weiß, Dressur Studien 01/11, S. 87

Finde ich sehr logisch erklärt, für den Reiter auch zur Umsetzung nahe gebracht. Nun wollen wir uns mal anschauen, was andere Koryphäen dazu schreiben. 

Selbstverständlich fange ich mit der Reitvorschrift H.Dv. 12 an. Ich habe leider nur die Ausgabe von 1937, aber das soll uns nicht weiter stören.
Unter dem Stichwort "Hilfen, allgemeines" findet man auf Seite 41 lediglich eine Anleitung, wie man die Zügel zu halten habe.
Optimistisch hatte mich erst einmal gestimmt, dass bei den Schlagworten die "Parade" ganze 5 x aufzufinden ist. Verstecken tut sich dahinter allerdings wenig hilfreiches: Eine Definition der halben und ganzen Paraden, an zweiter Stelle kommen wir der Sache vermeintlich näher:

"Bei den halben Paraden nimmt der Reiter die Zügel an, gleichsam als ob er das Pferd zum stehen bringen wollte, setzt jedoch die treibenden Hilfen fort. Häufig genügt schon eine durchhaltende Zügelhilfe bei gleichzeitigem Anziehen des Kreuzes"

Reitvorschrift H.Dv. 12, 18.08.1937, S.63

Die letzten drei Verweise sind zu vernachlässigen.

Ähnlich hilfreich sind die Ausführungen der Richtlinien für Reiten und Fahren aus Band 1, die sich ja die Grundausbildung für Reiter und Pferd auf die Fahnen geschrieben hat. Die Ausführung einer halben Parade wird folgendermaßen beschrieben:

"In Verbindung mit einer belastenden Gewichtshilfe durch vermehrtes Kreuzanspannen und einer treibenden Schenkelhilfe gibt der Reiter eine wohlbemessene, annehmende oder durchhaltende Zügelhilfe, jeweils gefolgt von einem rechtzeitigen Nachgeben."

"Werden bei halben Paraden die Zügelhilfen an einem Zügel gegeben, dann muss der andere Zügel ruhig gehalten werden, damit das Gebiss nicht in riegelnder Art durchs Maul gezogen wird."

"Der oft zu hörende Audruck "halbe Paraden am linken bzw. rechten oder äußeren Zügel" ist irreführend, da man meinen könnte, die halbe Parade erschöpfe sich lediglich in einem Annehmen des betreffenden Zügels."

Richtlinien Band 1, S. 104 ff

 Aha! Hilfreich bei der Umsetzung ists zwar eigentlich auch nicht, aber im mittleren Zitat lesen wir zumindest schon mal heraus, dass der andere Zügel ruhig gehalten wird und eine stete Anlehnung halten soll. Im folgenden Zitat ist dann ausschließlich vom äußeren Zügel und nicht vom inneren Zügel die Rede. Da sich der Autor aber die Mühe gemacht hat, davor von rechts und links zu schreiben, glaube ich nicht, dass er das "innen" einfach vergessen hat oder für überflüssig gehalten hatte. Ich glaube tatsächlich, darin verstecken sich die diagonalen Hilfen! Sehr verzwickt. Jedenfalls: Kombiniert man erstes und letztes Zitat, dann ergibt sich doch tatsächlich ein Nachgeben des äußeren Zügels! Ha!

Puh, ich habe noch fünf Bücher hier liegen. Ich glaube, ich teile das Ganze in zwei Artikel und ziehe hier einen Schlussstrich. Als nächstes kommen Klassiker wie der Müseler oder Waldemar Seunig.

Eure
Alexa