Ich glaube, dass ich ein relativ belesener Mensch bin. Zumindest
was die Reitlektüre betrifft. Ich habe ziemlich viele Bücher daheim, die
meisten gelesen, andere „nur“ als Nachschlagewerke. Doch hin und wieder frage
ich mich, was das ganze Wissen in der Praxis denn tatsächlich bringt. Nämlich
immer dann, wenn ich auf dem Pferd sitze, und es mal wieder nicht klappen mag.
Dann sitze ich da also und rekapituliere mein gespeichertes
Wissen, das ich im Lauf der Zeit in meinem Hirn gehortet habe – eine Schublade
für fehlende Biegung, eine für faule Pferde, eine für mangelhafte Anlehnung und
was es nicht alles gibt. Aber leider kommt es auch immer wieder vor, dass
mir in einer ganz entscheidenden Schublade etwas fehlt: Nämlich in der „Angewandtes
Wissen in der Praxis“-Schublade. Als gemeiner Freizeitreiter habe ich nur ein
Pferd, mal mehr mal weniger habe ich dann noch das Glück, ein weiteres
mitreiten zu dürfen. Dennoch ist es äußerst schwierig, mit so begrenzten „Mitteln“
einen vernünftigen Erfahrungsschatz aufzubauen.
Das merkt man vor allem dann, wenn man auf einem Pferd sitzt,
dem man grundsätzlich noch etwas beibringen kann. Oder könnte. Aber wo fängt
man an? Und wo hört man auf?
Dino kennt ihr ja bereits. Dino hat´s nicht so mit dem
Galopp. Jetzt gibt es verschiedene Lösungsansätze für so ein Problem – man kann
im Gelände fleißig im leichten Sitz trainieren, man kann in der Bahn viele
Übergänge reiten, man kann auch in der Bahn in den leichten Sitz gehen und
erstmal vorwärts ganze Bahn reiten… aber was ist nun der beste Weg für dieses Pferd?
Und vor allen Dingen: Wie schnell steigert man die Anforderungen? Und wie fördert
man im richtigen Maße?
Gerade die letzten beiden Punkte bergen eine echte Herausforderung
an den Reiter. Mein Reitlehrer sagt zu mir immer, ich soll mich nicht mit
halben Sachen zufrieden geben. Und in der Reitstunde kenne ich auch genau
meinen Punkt, wo ich aufgehört hätte, und ich bin jedes Mal erstaunt darüber,
was da noch geht. Trotzdem traue ich mich nicht weiter, wenn ich alleine
arbeite – was ist, wenn die Erfolgskurve plötzlich ihren Zenit erreicht hat und
es nur noch abwärts geht? Dann gehe weder ich noch mein Pferd mit einem guten
Gefühl aus der Bahn. Unschön.
Doch nicht nur die Dauer der Reiteinheit oder das
erreichte Ziel sind schwer einzuschätzen, sondern auch die steigenden Anforderungen.
In einer meiner letzten Reitstunden musste ich Dino auf der Geraden im Schritt
im Schultervor angaloppieren. SEHR schwer hat er sich damit getan, aber das
Ergebnis am Schluss konnte sich wirklich sehen lassen. Allein gearbeitet, hätte
ich ihn nur in der Biegung angaloppieren lassen, vielleicht noch auf der Geraden
auf einem Hufschlag. Auf gar keinen Fall mehr. Das arme Pferd! Nicht, dass es
sich überfordert! Aber hätte ich dann so ein gutes Ergebnis gehabt? Sicher nicht.
Und wann wäre ich dahin gekommen? Wochen später wahrscheinlich.
Soll man nun also auf die Theorie pfeifen und nur noch
Unterricht nehmen?
Müsste man sich für eins entscheiden, wäre das sicherlich
der bessere Weg. Und ich glaube, dass es viel wichtiger ist, ein
Grundverständnis zu erlangen, WARUM etwas gemacht wird als WIE etwas gemacht
wird – letzteres kann man sicherlich zur Genüge nachlesen. Aber solange man nicht die Hintergründe und
Zusammenhänge versteht, kann man zehnmal die Ausbildungsskala zitieren oder die
Parade erklären, und ist deshalb noch lange kein besserer Reiter. Hier tut es gut, auch mal andere Bücher als Reitwerke aufzuschlagen, beispielsweise über die Biomechanik oder über das Interieur des Pferdes, wie es lernt, wie es denkt und wie es fühlt. Oder man hat einen versierten Reitlehrer zur Hand, der es versteht, den Reiter über den Tellerrand hinaus blicken zu lassen. Den braucht man nämlich spätestens dann, wenn man mal wieder auf dem Pferd sitzt und nichts klappen mag!